Bundespräsident

Horst Köhler - ein beliebter und unbequemer Präsident

01. Februar 2025, 11:08 Uhr · Quelle: dpa
Horst Köhler gestorben
Foto: Martial Trezzini/KEYSTONE/dpa
Altbundespräsident Horst Köhler ist tot.
Vor allem sein spektakulärer Abgang bleibt unvergessen: 2010 tritt Horst Köhler überraschend als Bundespräsident zurück. Den vielen Beobachtern unverständlichen Schritt findet er bis zuletzt richtig.

Berlin (dpa) - Es war ein politischer Paukenschlag, der die Republik den Atem anhalten ließ. Am 31. Mai 2010 lud Bundespräsident Horst Köhler die Hauptstadtmedien überraschend zu einem Statement in seinen Amtssitz Schloss Bellevue ein. Was er zu sagen hatte, war noch überraschender: «Ich erkläre hiermit meinen Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten - mit sofortiger Wirkung.» Köhler standen dabei die Tränen in den Augen. Es handelte sich um einen bis dahin einmaligen Vorgang in der Geschichte der Bundesrepublik. Nichts blieb vom neunten deutschen Bundespräsidenten mehr in Erinnerung als dieser spektakuläre Rücktritt.

Keiner aus dem politischen Establishment

Ein Stück weit mag sich dieser jähe Schritt daraus erklären, dass Köhler der erste Bundespräsident war, der keine Parteikarriere hinter sich hatte, der die scharfe politische Auseinandersetzung nicht gewohnt war. Köhler wurde am 22. Februar 1943 im damals von deutschen Truppen besetzten polnischen Skierbieszow geboren. Seine Familie floh 1944 vor der Roten Armee Richtung Westen in die Nähe von Leipzig und 1953 weiter nach Westdeutschland. In Tübingen studierte er Wirtschaft, promovierte, ging nach Bonn, stieg im Bundesfinanzministerium auf bis zum Staatssekretär.

1992 wechselte Köhler an die Spitze des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, ging später zur Osteuropabank nach London. 2000 wurde er Geschäftsführender Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF). Damit hatte er eine Schlüsselfunktion in der globalen Finanzwelt inne und - anders als später als Bundespräsident - auch Macht.

Der Wechsel ins Schloss Bellevue kam überraschend. Es war der Coup der Parteichefs Angela Merkel (CDU) und Guido Westerwelle (FDP), die damit ein Signal für ihre angestrebte schwarz-gelbe Koalition setzen wollten.

Als ihn die Bundesversammlung am 23. Mai 2004 ins höchste Staatsamt wählte, war Köhler den meisten Deutschen unbekannt, wurde aber schnell beliebt. Im Amt war er unangefochten. 2009 wurde er wiedergewählt, setzte sich schon im ersten Wahlgang gegen drei Mitbewerber durch.

Als Bundespräsident notfalls unbequem

Sein Amt als neunter Bundespräsident trat Köhler am 1. Juli 2004 mit großem Anspruch an. «Meinen Amtseid verstehe ich als Verpflichtung, zur Erneuerung Deutschlands beizutragen.» Notfalls unbequem wolle er sein - was er bald unter Beweis stellte. Er mische sich zu sehr in die Tagespolitik ein, hielten ihm Kritiker vor.

So durchkreuzte Köhler im November 2004 mit einem öffentlich werdenden Brief die Pläne des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD), den Tag der Deutschen Einheit immer auf den ersten Sonntag im Oktober zu legen, um so einen Feiertag einzusparen. Vor allem in der SPD wurde das als Affront gesehen. Im Januar 2005 unterzeichnete Köhler zwar das Luftsicherheitsgesetz, regte aber eine Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht an. Dieses kassierte später die Bestimmung zum Abschuss von Passagiermaschinen im Notfall.

Im Oktober 2006 stoppte Köhler das Gesetz zur Privatisierung der Luftraumüberwachung, im Dezember das Verbraucherschutzgesetz. In der Koalition war man über diese Eingriffe in die Gesetzgebung verärgert. Die schwierigste Entscheidung seiner Amtszeit musste Köhler gleich nach einem Jahr im Amt treffen. Am 21. Juli 2005 löste er den 15. Deutschen Bundestag auf und folgte damit Schröders umstrittenen Ansinnen nach einer vorgezogenen Wahl.

Anwalt des afrikanischen Kontinents

Auf internationaler Bühne setzte Köhler vor allem Zeichen für Afrika. Der Nachbarkontinent war gewissermaßen seine außenpolitische Agenda. Schon die erste große Auslandsreise im Amt führte ihn nach Sierra Leone, Benin, Äthiopien und Dschibuti. Zwölf afrikanische Länder besuchte er in den sechs Jahren seiner Amtszeit.

Der afrikanische Kontinent beschäftigte Köhler schon als IWF-Chef stark. «Ich hab' mein Herz in Afrika verloren» - diesen Satz hörte man oft aus seinem Mund. In seiner Antrittsrede als Bundespräsident am 1. Juli 2004 sagte er: «Für mich entscheidet sich die Menschlichkeit unserer Welt am Schicksal Afrikas.»

Bei einem Abendessen anlässlich Köhlers 80. Geburtstags würdigte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seinen Vorgänger im März 2023 als Anwalt des afrikanischen Kontinents: «Sie sind ein verlässlicher, ein leidenschaftlicher Freund Afrikas.» Auch in seinem Kondolenzschreiben an die Witwe Eva Luise Köhler hob Steinmeier das Engagement Köhlers für einen fairen Umgang mit Afrika hervor: «Damit war er der Zeit weit voraus.»

Rücktritt als Antwort auf Kritik

Köhlers Rücktritt kam völlig überraschend - auch für Kanzlerin Merkel, die noch versuchte, ihn umzustimmen. Vergeblich. Was war passiert? Auslöser war ein Interview zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr, das erst weitgehend unbemerkt verhallte, dann aber heftige Kritik auslöste. Köhler gab es dem Deutschlandradio Kultur auf dem Heimflug nach einem Blitzbesuch in Masar-i-Scharif bei den in Afghanistan stationierten deutschen Soldaten.

Es war ein langer, umständlich formulierter Satz, der die Kritiker erzürnte. Köhler sagte, dass «ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege (...)». Köhler wurde vorgeworfen, er rechtfertige damit auch den Afghanistan-Einsatz mit wirtschaftlichen Interessen. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sprach von «Kanonenbootpolitik».

Die Kritik gehe so weit, ihm zu unterstellen, er befürworte vom Grundgesetz nicht gedeckte Einsätze der Bundeswehr, sagte Köhler bei seinem Rücktritt. «Diese Kritik entbehrt jeder Rechtfertigung. Sie lässt den notwendigen Respekt für mein Amt vermissen.»

Vom Staatsoberhaupt zum UN-Beauftragten

Um Köhler wurde es anschließend relativ still. Sein Engagement für Afrika und die Entwicklungspolitik setzte er fort. 2016/2017 leitete er mit dem früheren UN-Generalsekretär Kofi Annan eine Kommission der Afrikanischen Entwicklungsbank. 2017 ernannte ihn UN-Generalsekretär António Guterres zum Sonderbeauftragten für den Westsahara-Konflikt. Nur knapp zwei Jahre später legte Köhler auch dieses Amt vorzeitig nieder - diesmal aus gesundheitlichen Gründen.

Mit seiner Frau Eva Luise gründete Köhler 2006 eine Stiftung, die sich für eine bessere medizinische Versorgung von Menschen mit Seltenen Erkrankungen einsetzt. 2021 wurde er nochmals politisch aktiv und übernahm die Schirmherrschaft für den ersten bundesweiten Bürgerrat für Klimapolitik.

Seinen Abgang von der Staatsspitze bereute er nicht. «Das war keine Entscheidung, die mir Freude bereitet hat», sagte Köhler im Februar 2023 in einem Interview der «Süddeutschen Zeitung» zu seinem 80. Geburtstag. «Aber ich bin da völlig mit mir im Reinen.»

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01.02.2025 · 11:08 Uhr
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