Gewerkschaften verzeichnen Anstieg der Mitgliederzahlen
Die Gewerkschaften in Deutschland haben sich von den Auswirkungen der Corona-Pandemie erholt und konnten im vergangenen Jahr einen leichten Anstieg bei ihren Mitgliederzahlen verzeichnen. Sowohl die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi als auch die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) konnten entgegen langjähriger Trends wieder ein Wachstum verzeichnen. Auch die IG Metall verzeichnete mit knapp 130.000 neuen Mitgliedern fast eine Stagnation.
Besonders auffällig ist der Trend bei jungen Menschen, sich vermehrt in Gewerkschaften zu organisieren. In früheren Jahren ging die Mitgliederzahl bei den Gewerkschaften kontinuierlich zurück, doch jetzt scheint sich der Trend umzukehren.
Den Gewerkschaften macht jedoch wie vielen anderen gesellschaftlichen Institutionen die demografische Entwicklung zu schaffen. Ältere Mitglieder sterben allmählich weg oder treten mit dem Eintritt in den Ruhestand aus. Aus diesem Grund sind auch die Verkehrsgewerkschaft EVG und die IG Bergbau Chemie Energie im Jahr 2023 geschrumpft.
Endgültige Zahlen über die Mitgliederentwicklung in den acht Mitgliedsgewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) werden am Mittwoch veröffentlicht. Im Vorjahr waren dort insgesamt über 5,6 Millionen Männer und Frauen organisiert.
Trotz des aktuellen Anstiegs warnt Verdi-Chef Frank Werneke vor einer langfristigen Trendwende. Die eigentliche Herausforderung für die Gewerkschaften steht noch bevor, nämlich der massive Wechsel der Babyboomer-Jahrgänge in den Ruhestand.
Tarifexperte Reinhard Bispinck betont, dass es nicht nur darum gehe, neue Mitglieder zu gewinnen, sondern auch darum, bereits gewonnene Mitglieder zu halten. In Branchen wie dem Bau ist es zudem extrem schwer, neue Mitglieder zu gewinnen.
Thorsten Schulten, Leiter des WSI-Tarifarchivs der gewerkschaftlichen Böckler-Stiftung, sieht jedoch eine grundsätzlich starke Position der Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt, die von den Gewerkschaften genutzt werden könne. Arbeitnehmer entwickeln angesichts der hohen Nachfrage ein neues Selbstbewusstsein und fordern eine angemessene Wertschätzung. Dabei möchten sie allerdings auch aktiv in die gewerkschaftliche Arbeit eingebunden werden.
Der Gewerkschaftsforscher Hagen Lesch vom arbeitgebernahen Institut der Wirtschaft (IW Köln) spricht nicht von einem langfristigen Trend, betont jedoch, dass es den Gewerkschaften im vergangenen Jahr gelungen sei, ihre zunehmend aggressiven Arbeitskämpfe für die Mitgliederwerbung zu nutzen.
Ein Rückenwind für die Arbeitnehmer könnte von der EU-Kommission kommen, die eine Tarifbindung von 80 Prozent in den Mitgliedstaaten anstrebt. Deutschland liegt mit nur rund 50 Prozent tarifgebundenen Beschäftigten weit zurück und gilt dies nur, weil tarifgebundene Unternehmen die vereinbarten Gehälter und Regelungen auf alle Beschäftigten anwenden, nicht nur auf Gewerkschaftsmitglieder.
Der Organisationsgrad der Gewerkschaften liegt laut Forschern bei nur 17 Prozent aller Arbeitnehmer. Dennoch wird empfohlen, dass der Staat sich hinsichtlich der Gewerkschaften zurückhält. (eulerpool-AFX)