EU-Binnenmarkt Studie: Bürokratie behindert Export österreichischer KMU
Der EU-Binnenmarkt gilt als Motor für wirtschaftliches Wachstum und Beschäftigung in Europa. Anlässlich des 30-jährigen Bestehens untersuchten das internationale Beratungsunternehmen Implement Consulting Group sowie die KMU Forschung Austria im Auftrag von Amazon, ob und wie der europäische Binnenmarkt noch weiterentwickelt und gestärkt werden könnte. Dazu wurden zwischen Juni und September 2023 475 kleine und mittlere Unternehmen (KMU) aus Österreich zu den aktuellen Herausforderungen des EU-Binnenmarktes befragt. Die Ergebnisse wurden im Rahmen der gemeinsamen Veranstaltung „30 Jahre EU-Binnenmarkt: (Ungenutzte) Potenziale & Herausforderungen“ der Wirtschaftskammer Österreich, der Wirtschaftskammer Wien, der Europäischen Kommission, des Bundesministeriums für Arbeit und Wirtschaft und Amazon präsentiert.
„Der Binnenmarkt gehört zu den Kronjuwelen der europäischen Integrationsgeschichte. Rund
70 % des gesamten österreichischen Außenhandels werden mit den anderen 26 EU-Ländern abgewickelt, und er ist damit die wichtigste Quelle unseres Wohlstands. Es gibt aber auch noch viel zu tun, um das volle Potenzial – vor allem im Dienstleistungssektor – auszuschöpfen und einen widerstandsfähigen, wettbewerbsfähigen und unbürokratischen Binnenmarkt zu schaffen.“ Christian Mandl, Leiter der Abteilung Europapolitik in der Wirtschaftskammer Österreich.
EU-Binnenmarkt: Wachstumshebel für österreichische KMU
KMU erwirtschaften aktuell annähernd 60 % der heimischen Wirtschaftsleistung und tragen zu 65 % der Gesamtbeschäftigung in Österreich bei. Für sie hat sich der europäische Binnenmarkt als Fundament für Wachstum und wirtschaftlichen Erfolg erwiesen: Die durch die Schaffung des EU-Binnenmarkts erfolgte Standardisierung und regulatorische Harmonisierung ermöglichte es KMU, ihr Exportgeschäft auszubauen und Zugang zu europäischen Wertschöpfungsketten zu erhalten. Mittlerweile beträgt der Anteil der KMU an den österreichischen Gesamtexporten rund 40 %, wobei annähernd 80 % der KMU-Exporte auf den Binnenmarkt entfallen. Auch über den Amazon Marketplace exportieren österreichische KMU den Großteil ihrer Waren in andere EU-Mitgliedstaaten. 2022 erzielten die 2.500 heimischen Verkaufspartner in Summe 550 Millionen Euro an Exportumsätzen – davon betrafen rund 465 Millionen Euro Exporte innerhalb der EU (85 %).
50 % der KMU empfinden unterschiedliche Regulierung als „stark einschränkend“
95 % der im Zuge der Studie befragten KMU-Exporteure unterstreichen die Relevanz des Binnenmarkts für ihre Geschäftstätigkeit. Allerdings stellen zwei wesentliche Hindernisse für die KMU die mangelnde Harmonisierung und unterschiedliche Regulierungen in den Mitgliedstaaten dar. Mehr als 50 % der Unternehmen empfinden diese als stark einschränkend, weitere 13 % als etwas einschränkend für ihre Geschäftstätigkeit. Die regulatorischen Hürden resultieren laut der Befragten in erhöhten Kosten (88 %), reduzierten Gewinnen (73 %) und einer Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit (70 %).
„Wir merken in der täglichen Zusammenarbeit mit unseren Verkaufspartnern, dass sie durch die Vielzahl an europäischen Regulierungen und die mangelnde Harmonisierung in den Mitgliedstaaten vor Herausforderungen gestellt werden. Wir orientieren uns eng an den Vorgaben der Behörden, um den Verkaufspartnern das Verständnis der Anforderungen zu erleichtern und Hilfestellung zu leisten, mit eigenen Lösungen und Teams sowie mit einem Netzwerk an Dienstleistern, das bei der Einhaltung der Registrierungs- und Meldepflicht helfen kann. Verkaufspartner sind überaus wichtig für Amazon und unsere Kund:innen und wir werden sie auch weiterhin dabei unterstützen, die bestehenden Vorgaben zu erfüllen.“ Markus Schöberl, Director Amazon Marketplace für Österreich und Deutschland
Rechtliche Hindernisse sind ebenfalls ein Anliegen: 39 % der KMU fühlen sich in ihrer Fähigkeit, an öffentlichen Ausschreibungen teilzunehmen, eingeschränkt und 38 % sehen sie als Barriere für den Export an private Kund:innen. So auch Wolfgang Fuchs, Gründer des Yoga-Labels Lotuscrafts aus Wien: „Online-Handel aus Österreich zu betreiben ist nicht einfach. Amazon war für uns ein Kick-Start. Mittlerweile erwirtschaften wir 80 % unseres Umsatzes durch Exporte. Jedoch stellen uns neben der Umsatzsteuerregistrierung in den einzelnen europäischen Ländern auch die nationalen Regelungen für Verpackungsverordnungen vor große Herausforderungen. Das führt so weit, dass wir in Erwägung ziehen, uns aus einzelnen Ländern gänzlich zurückzuziehen.“
91 % der KMU für Vereinfachung von Verwaltungsverfahren
Beinahe 90 % der befragten KMU aus Österreich sind der Meinung, dass eine verstärkte Nutzung digitaler Tools und Anwendungen ihrem Unternehmen helfen kann, mehr auf dem Binnenmarkt zu verkaufen. Als Voraussetzung nennen sie Maßnahmen wie eine verbesserte digitale Infrastruktur, mehr digitale öffentliche Dienstleistungen, sowie einen größeren Pool an verfügbaren Fachkräften.
Die Unternehmen nennen mehrere politische Stellschrauben, die zum Abbau regulatorischer Hindernisse beitragen können – häufig durch den Einsatz von digitalen Anwendungen. 91 % der Befragten verweisen auf die Vereinfachung von Verwaltungsverfahren und mehr als die Hälfte dieser KMU ist überzeugt, dass diese Maßnahme ihnen dabei helfen würde, mehr Geschäfte über den Binnenmarkt zu tätigen.
11 politische Maßnahmen zur Stärkung des Binnenmarktes
Die Studie leitet aus den Antworten der Unternehmen insgesamt 11 konkrete politische Empfehlungen ab, die zur Optimierung des EU-Binnenmarktes beitragen und somit auch die österreichische Wirtschaft stärken können. Die Maßnahmen umfassen den weiteren Abbau bürokratischer Hürden, verstärkte Durchsetzung bestehender Binnenmarktvorschriften, Harmonisierung (beispielsweise in Form von einheitlichen Umsatzsteuer-Identifikationsnummern), mehr Raum für digitale Lösungen – sowohl in der Verwaltung als auch auf Produktebene (z. B. digitale Produktlabels) und die Förderung von klimafreundlichen Waren und Dienstleistungen.