Droht NVIDIA der Lieferinfarkt in China?
Nachfrage-Boom trifft auf Schweigen aus Santa Clara
Chinesische Tech-Konzerne wie Tencent, ByteDance und Alibaba ordern H20-Chips im großen Stil – und stoßen offenbar an Grenzen. Laut interner Kommunikation des chinesischen Serverherstellers H3C, die Reuters vorliegt, ist die Lieferkette des beliebten KI-Chips von NVIDIA labil.
Es geht um einen der wichtigsten Prozessoren für KI-Anwendungen, der überhaupt noch in die Volksrepublik geliefert werden darf. Und um einen Markt, in dem künstliche Intelligenz längst zum geopolitischen Spielball geworden ist.
Dass NVIDIA sich zur Lage nicht äußert, passt ins Bild. Das Unternehmen reagierte auf Presseanfragen mit Nicht-Kommentar. Und H3C dementierte inzwischen die Existenz der internen Mitteilung, in der es ursprünglich selbst vor Engpässen gewarnt haben soll.
Eine klassische Kommunikationsstrategie, wenn es brenzlig wird – nicht nur technisch, sondern politisch.
Der H20: Der „legale“ KI-Chip für China
Seit dem US-Exportverbot für Hochleistungs-KI-Chips wie den A100 oder H100 hat NVIDIA eine eigens für den chinesischen Markt angepasste Version entwickelt: den H20-Chip.
Er bietet deutlich reduzierte Rechenleistung, erfüllt aber die Anforderungen chinesischer KI-Unternehmen – und ist damit zur strategischen Brückentechnologie geworden. Laut Branchenanalysten lieferte NVIDIA im Jahr 2024 rund eine Million H20-Chips nach China – Umsatz: über 12 Milliarden US-Dollar.

Trotz technischer Einschränkungen ist der H20 derzeit praktisch konkurrenzlos. Vor allem weil chinesische Alternativen wie Biren oder Cambricon noch Entwicklungsrückstände aufholen – und weil US-Firmen wie AMD und Intel komplett vom chinesischen KI-Hardwaremarkt ausgeschlossen sind.
Verfügbarkeit? Angeblich ja. Realität? Ein anderer Preis
Eine anonyme Quelle aus dem chinesischen Serverhandel schildert die Situation gegenüber Reuters drastisch: Man habe die Zusage für H20-Lieferungen erhalten, doch zum Zeitpunkt der Bestellung seien alle Chips bereits anderweitig verkauft worden – zu höheren Preisen.
Dieses Szenario erinnert an die Chip-Knappheit während der Corona-Pandemie: Zusagen verlieren ihren Wert, wenn andere Kunden bereit sind, mehr zu zahlen.
Noch heikler: Laut H3C sollen Chips künftig nicht mehr strikt nach Bestelleingang ausgeliefert werden, sondern nach dem Prinzip der Profitmaximierung. Wer höhere Margen bietet, bekommt den Zuschlag. Ein Spiel, das kleinere KI-Start-ups benachteiligt – und etablierte Großkunden bevorzugt.
Unsichere Versorgung, wachsende Spannungen
Offiziell schweigen die Beteiligten, inoffiziell verdichten sich die Hinweise: Die Lieferketten sind angespannt, teils instabil. Gründe gibt es genug – von geopolitischer Unsicherheit über Rohstoffverfügbarkeit bis zu Produktionsengpässen.
Hinzu kommt: NVIDIA produziert nicht selbst, sondern ist auf Partner wie TSMC angewiesen. Und TSMC steht unter zunehmendem Druck, den Spagat zwischen westlichen Exportauflagen und asiatischer Nachfrage zu halten.
Die Zeitpunkte, zu denen neue Lieferungen in China eintreffen sollen, verschieben sich laut H3C-Memo laufend. Die Rede ist von „Unsicherheiten über den 20. April hinaus“, was darauf hindeutet, dass auch NVIDIA selbst keine Planungssicherheit garantieren kann.
Für chinesische Kunden, die Milliarden in KI-Projekte stecken, ist das mehr als ein logistisches Problem – es ist ein Risikofaktor auf strategischer Ebene.
KI-Wettlauf mit begrenzter Hardware
Die Knappheit des H20 kommt in einem Moment, in dem Chinas KI-Start-up-Szene massiv expandiert. Besonders das Unternehmen DeepSeek treibt mit günstigen, skalierbaren KI-Modellen die Nachfrage nach Rechenleistung in die Höhe. Genau dafür ist der H20 ausgelegt – und genau dort droht jetzt der Flaschenhals.
Wenn der Engpass anhält, stehen Unternehmen vor schwierigen Entscheidungen: warten, zu überhöhten Preisen kaufen – oder technologisch zurückfallen. Für NVIDIA wiederum bedeutet die Nachfrage eine wirtschaftliche Chance, aber auch ein Risiko: Wenn Kunden ausbleiben oder nicht mehr zuverlässig beliefert werden, könnten sich chinesische Firmen schneller als gedacht Alternativen entwickeln.
Droht ein Rückschlag für Chinas KI-Offensive?
Chinas strategisches Ziel ist klar: Unabhängigkeit in Schlüsseltechnologien, insbesondere bei Halbleitern. Dass das Land aktuell beim Thema KI-Hardware noch stark von einem einzigen US-Anbieter abhängig ist, widerspricht diesem Ziel – und setzt die Regierung wie auch große Tech-Konzerne unter Druck.
Ein längerfristiger Lieferengpass beim H20 könnte genau das beschleunigen, was Washington eigentlich verhindern wollte: massive staatlich getriebene Investitionen in chinesische Chipalternativen.