An einem der letzten Tage unternahm ich mal wieder einen Rundgang von der Leostraße über die sogenannte Südstadt zurück zu meiner Wohnung. Wenn ich ganz gemütlich gehe, bin ich etwa eine Stunde unterwegs. Da ich heute wohl etwas schneller war, überredete ich mich noch zu einem kleinen Umweg über die Karlstraße.
Etwa zweihundert Meter von zu Hause, ich war schon in der Leostraße, an der immer eine Reihe Autos parken, kam plötzlich ein kleiner Junge hinter einem dieser ruhenden Fahrzeuge hervorgesprungen und blieb, während eine junge Frau, wahrscheinlich die Mutter, sich im vorderen Teil des Wagens zu schaffen machte, vor mir stehen. Hocherfreut und ganz selbstsicher sah er zu mir auf und rief: „Ich habe den Kofferraum aufgemacht."
Warum und wie blieb genauso ungesagt, wie der Grund für seine unheimliche Freude, da er gar nicht aufhörte, den Satz „ich habe den Kofferraum aufgemacht“ mir gegenüber zu wiederholen. Er sprudelte geradezu aus ihm heraus. Allmählich begann auch die Mutter etwas zu lächeln. Da ich mich nicht weiter einmischen wollte, lobte ich den Jungen einfach. „ Super, was du alles kannst, du großer Kofferraumaufmacher“. Er lachte noch einmal und lief zu seiner Mutter, während ich meinen Weg nach Hause fortsetzte.
Irgendwie war diesem Kind wohl etwas gelungen, was es selber von sich nicht erwartet hatte. Das passiert uns Erwachsenen ja manchmal auch, aber können wir noch so außer Rand und Band geraten vor lauter Freude darüber ? Was würde geschehen, wenn wir in so einer Situation auf irgendjemanden zugehen und ihm freudig erregt von unserer „Tat“ erzählen würden ? Eine Antwort will ich auf diese Frage lieber nicht geben. Doch eins ist sicher: Wir alle haben im Laufe unseres Lebens etwas verloren : Das spontane Wir-selbst-sein. Wir spielen nur noch Rollen. Auch vor uns selber.
Und dabei gibt es doch auch bei jedem von uns so viele Kofferräume, die wir öffnen könnten. Marcel Reich-Ranicki hat in einem Gespräch mit Peter von Matt gesagt: Gute Literatur ähnele einem Koffer mit einem doppelten Boden. Das gilt auch für die Kofferäume in uns. Und bestimmt kennt auch jeder jemanden, der sich über das Öffnen freuen würde. Wir müssen nur den Mut haben, es ihm freudestrahlend zu sagen.
Jetzt mache ich den Kofferraum zu.Vielleicht trifft irgendjemand ja ebenfalls den großen Kofferraumaufmacher. Der kennt bestimmt auch den doppelten Boden. Sagt mir dann, was ihr entdeckt habt.