Eintrag #51, 02.12.2024, 18:57 Uhr

Ein geliehener Satz

Hinter mir auf der Rolltreppe steht ein etwas älteres Pärchen - keine Ahnung ob Mann und Frau oder nur Bekannte - und unterhält sich in einem fast flüsternden Ton. Nur einzelne Wortfetzen kommen bei mir an. Interessierte mich auch nicht. Aber dennoch kann man dem Versuch nicht widerstehen, etwas mehr von der Unterhaltung zu erfahren, obwohl mir im selben Augenblick der Satz aus der Kindheit in Erinnerung kommt : Man lauscht nicht, wenn sich andere unterhalten. Gleich daneben steht jedoch der Satz: Hörst du mir eigentlich zu ? Allerdings geht das oft  gar nicht so einfach. Manches hört man, obwohl man es überhaupt nicht will. Und anderes interessiert einen einfach nicht und findet deshalb auch nicht den Weg zu einem. Oder vielleicht hat man es auch einfach nicht verstanden.

 

Da ging doch neulich eine Mutter mit ihrem kleinen Sohn an mir vorbei, wobei genau dieser Fragesatz an den Kleinen bei mir landete: Hörst du mir eigentlich zu ? Ja, zuhören, was der andere sagt, wer macht das heute eigentlich noch ? Ich habe nicht wirklich zugehört, mir ist der Satz einfach zugeflogen, er ist bei mir gelandet, ich habe ihn aufgenommen, und dann hat er mich begleitet, mich gefragt, hörst du mir zu ? Weißt du, was ich gesagt habe, hast du es auch verstanden, oder besser, hast du darüber nachgedacht. Dem anderen zuhören, was er sagt und dann überlegen, was er gemeint hat, beurteilen, ob es richtig ist, ob es dem entspricht, was meine Meinung ist, vielleicht antworten. Aber antworten kann ich nur, wenn ich vorher zugehört habe. Reden und antworten, ohne zuhören, funktioniert nicht, denn dann redet man aneinander vorbei.

 

Keine Ahnung, was die Mutter vorher erzählt hat, keine Ahnung, ob der Junge zugehört hat, ich konnte ja nicht zuhören, mir ist der Satz nur zugeflogen und ich habe deshalb nicht über den Inhalt des Gesprächs, aber zumindest über den Satz nachgedacht. Hast du mir jetzt auch zugehört, worüber ich nachgedacht habe ? Mutter und Sohn waren längst entschwunden, aber der Satz war noch immer da. Ich hörte ihn neben mir. Natürlich konnte ich ihn nicht verstehen, weil ich ja das Gespräch nicht kannte. Dennoch vernahm ich, was er sagen sollte. Die Gedanken des Sohnes waren wohl nicht bei ihm gewesen, meine ließen ihn jedoch nicht mehr los. Und so nahm ich ihn mit nach Hause. Also den Satz. Jetzt ist er schon eine Woche hier und ich warte noch immer, was er mir zu sagen hat. Zuhören ist keine Sache des Augenblicks.

 

Aber, wenn ich Mutter und Sohn noch einmal begegnen sollte, werde ich ihnen den Satz zurückgeben. Warum ? Ist doch klar, hörst du mir eigentlich zu ?

 
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