Eintrag #49, 13.10.2024, 18:30 Uhr

Düstere Zeiten

Gerade biege ich in eine Seitenstraße ein, als mein Blick auf eine junge Dame fällt, die sich in einer Hauseinfahrt mit einem kleinen Handgerät am Hinterrad ihres Motorrads zu schaffen macht. Da dieses Etwas ein säuselndes Geräusch von sich gibt, sage ich im vorbeigehen scherzhaft: Gleich macht es „peng“. Sie lacht und schüttelt wortlos den Kopf, während ich meiner Wohnung zustrebe. Doch was wäre, so meine Gedanken, wenn da vorne das Haus in dem ich wohne, tatsächlich in diesem Moment zerstört würde, es von einer Bombe getroffen würde? Peng ! Vielleicht müßte ich dann sofort diesen Ort, diese Stadt, ja, unter Umständen sogar dieses Land verlassen.

 

Unwahrscheinlich, aber vor mir erschienen plötzlich Menschen und ihre Probleme, für die irgendwann mal der Satz geprägt worden ist: Wir schaffen das. Jetzt sind sie wieder zurück-Nein, nicht zurück in ihrer Heimat, sondern zurück in unserem Gedächtnis. Inzwischen allerdings bei vielen ohne ein Willkommen. Und für sie, die Flüchtlinge, gibt es oft nur die Entscheidung: Bleiben oder zurück.

 

Vor über siebzig Jahren lautete die Entscheidung eher: Weg oder zurück, denn bleiben war für viele ausgeschlossen. Egal wo sie gerade waren.

 

Die Flüchtlinge, was ist ihnen eigentlich wichtig ? Die Freiheit, Freiheit im Sinne von nicht eingesperrt sein, in keinem Lager zu leben, ohne Aufsicht, ohne Bedrohung, ohne Krieg. Aber nach der Flucht in ein anderes, fremdes Land, eine fremde Stadt sind sie auch nicht wirklich frei. Selbst in irgendeinem Zimmer oder bei Freunden ist keine Freiheit.Wirkliche Freiheit haben sie nur zu Hause, doch dieses Zuhause gibt es für sie nicht mehr. Auch dieses fremde Land, diese Stadt, die Unterkunft, vielleicht das kleine Cafe, wo sie immer tatenlos sitzen, sind wie ein Lager, nur etwas großzügiger.

 

Und was wollen sie ? Von hier weg, in ein anderes Land, wo sie dann wieder fremd und unfrei sind und wo alles von vorne beginnt ? Sie wissen nicht einmal ob sie wirklich dahin wollen. Sie haben eigentlich kein Ziel mehr. "Denn Flüchtlinge müssen weiter fliehen. Anna Seghers, in „Transit“.

An der Stelle muß ich an die Parabel von Franz Kafka "Der Aufbruch" denken: Auf Anfrage seines Dieners, wohin die Reise führen solle, antwortet der Protagonist mehrmals mit „nur weg von hier“ und erklärt „Weg-von-hier“ als sein Ziel.

 

Schon wieder die Frage der Flüchtlinge: Fort oder bleiben ? Aber immer verbunden mit der Angst. Angst vor dem Fort und Angst vor dem Bleiben und Angst vor dem Zurück. Nur Ängste halten die Menschen zusammen. Die letzte Hoffnung, die letzte unbestimmte Hoffnung der Flüchtlinge lautet: Zurück in den Tod oder vorwärts in den Tod. Und die, die gefahren sind, suchen für immer die "unauffindbaren Toten".

 

Düstere Zeiten. Aber, sie schaffen das ?

 
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